Die Palastrevolution auf den billigen Plätzen -- Teil 1

Palastrevolution auf den billigen Plätzen -- Teil 1

29. September 2023
Als Impuls war schon eine kurze Ankündigung der Veranstaltung ausreichend. Ausgangspunkt für diesen Impuls wiederum ist eine Lesung von Max-Jacob Ost¹, die ich im Januar 2023 besucht habe. Der Moderator jenes Abends war kein geringerer als Tilo Jung – und seine Präsenz, die unumwundenen Fragen, die souveräne Moderation hatten mich nachhaltig beeindruckt.

Die Palastrevolution als Status Quo

Über viele Jahre jetzt hab ich zugesehen, wie die einst eigenartigen Formate von Jung² und Schmitt³ zu einem routinierten Standard-Repertoire nicht nur für YouTube-Publikum, sondern auch für Multiplikator:innen der Medienbranche wurden. Aber sind sie in der Lage, diesem neuen Status noch etwas hinzuzufügen? *Spoiler vorweg*: Leider nicht. Auf der großen (wirklich großen) Bühne des Admiralspalasts wirken sie mit ihrem Auftreten und ihren Werkzeugen verloren. Eine "Palastrevolution" findet hier – auf den billigsten Plätzen – nicht statt.
!B Blick ins Publikum der Palastrevolution im Admiralspalast
Blick auf die Palastrevolution von den billigen Plätzen.
Wie kompliziert so eine Abendveranstaltung im Gegensatz zur Veröffentlichung über YouTube sein kann, demonstrierte bereits so etwas *Banales“, wie das abendliche Großstadtwetter: Nach Ankunft wird uns schnell klar, dass der Admiralspalast einfach keinerlei "Luftkonzept" hat. Er ist schlicht ein großer Raum ohne Fenster und Belüftung und es ist unerträglich heiß. Die Begleitung, mein guter Freund Simon, sagt später, es rieche ein wenig "nach Schinken". Die Luft ist nicht dick, sie ist fett. Noch vor Beginn sitze ich im Unterhemd da. Meine Gedanken sind schwer, mein Körper auch. Es ist eine eigenartig schwüle Hitze. Sodass ich nicht wirklich schwitze, sondern eher vor mich hin glühe. Wie in einer etwas zu mild eingestellten Sauna. Der Schweiß rinnt nicht, er klebt.
Die Crowd hier bei uns auf den billigen Plätzen – also dort, wo die Decke schon knapp ins Sichtfeld ragt und der Blick tief hinunter und weit bis zu den Figuren auf der Bühne reichen muss – ist schnell unruhig. Wirklich viele sind ne Kante jünger als Simon und ich. – *Jungs*, meistens. Angesichts der Schwüle, der Entfernung zur Bühne (und der wenig mitreißenden Ereignisse dort) fangen die ersten an, sich mit Nachschub zu versorgen. Manche Person seh ich nicht wiederkommen, Plätze bleiben leer.
!B Ticket der Palastrevolution leicht transparent abgebildet, dahinter ist der Saal im Admiralspalast sichtbar.
Die billigsten Plätze für die preisgünstigsten Tickets. Das ist die Geschichte des Abends.
Der Damm ist jedenfalls gebrochen, ständig klackern die alten Holztüren um uns herum. Immer wieder muss ich aufstehen, wenn einer der Bierholer mit seinen vier Bechern zurückkommt, um seine Jungs zu versorgen.

Von Beginn an funktioniert die Veranstaltung nicht

Das erste Segment läuft vielleicht 10 Minuten, da finde ich mich kauernd auf meinem Platz, spüre wie mein Gesicht sich verzerrt und haben einen inneren Drang danach, dass "es doch irgendwie vorbeigehen möge". Eine Wirtschaftsphilosophin (oder war's Philosophin und Wirtschaftswissenschaftlerin?) namens Silja Graupe schwadroniert von ihrer chronischen Erkrankung; erzählt, dass ihr Leben von schwersten Schmerzen bestimmt sei.
Silja Graupe: "Ich leide seitdem ich denken kann an starken chronischen Schmerzen. Der Utilitarismus sagt, wir können zwischen Schmerz und Leid entscheiden - und wir müssen uns immer für die Freude entscheiden. Ich kann nichts entscheiden der Schmerz gehört zu meinem Leben."
Ihr Schicksal tut mir leid. Aber ihr wurde gerade eine Frage zum Wirtschaftssystem und der Klimakatastrophe gestellt – und neben ihr kommt die verheißungsvolle Ökonomin Isabella Weber nicht zu Wort. So sitzen wir also alle hier und reden vor allem über die ungenannte Krankheit einer Hochschulprofessorin.
Graupes Idee scheint zu sein, ihr persönliches Unglück zu einer Art politischen Idee zu formulieren.
Silja Graupe: "Ich bin das lebendige Beispiel, dass etwas anders ist und ich möchte meine Position und meine Wissenschaft nutzen, um meine Erfahrung sozusagen als 'Outcast' deutlich zu machen."
Von diesem Spielfeld kommen Schmitt und Jung nicht mehr runter. Als Isabella Weber endlich einen Versuch erhält, ihre ökonomischen Vorstellungen anzubringen, wirkt das wie entferntes, abstraktes, intellektuelles Gerede anhand von Graupes proklamiertem Sterbenselend. / Nichts funktioniert.

Tilo Jung und Wolfgang M. Schmitt zu klein für die große Bühne

Das folgende Interview mit Friedrich Küppersbusch ist nah an der Farce. Er wirft den deutschen Leitmedien Kriegstreiberei vor und macht sich über die Vertretung der sorbischen Volksgruppe im Rundfunkrat lustig.
Frieda: "Mir ging es ähnlich. Was den ersten Teil anbelangt kann ich sagen, dass mir bei den Gesprächen, aber auch im gesamten betrachtet, die Struktur gefehlt hat. Mir ist schon klar, dass man natürlich nicht jeden Verlauf planen kann (bzw. auch nicht sollte), aber ich fand es irgendwie wirr und nicht richtig auf den Punkt gebracht. Precht ist nicht mein Fall."
Als Richard David Precht dann als nächster Gast enthüllt wird und sich Wolfgang M. Schmitt für die Moderation bereit macht, geht endlich ein Raunen und Stöhnen durch den Palast. Ja, Richard Precht mag ich ebenso wenig. Precht weiß zu allem und jedem was. Hat sich als Philosoph und Bildungswissenschaftler und Psychologe (zumindest bezogen auf seine Buchtitel) geriert und gibt ständig den allwissenden Klassenstreber.
¹ Max-Jacob Ost: Aus Liebe zum Spiel - Uli Hoeneß. Literatur Live. Pfefferberg Theater, Berlin. 13.01.2023.

² Seit 2013 betreiben Tilo Jung und Alexander Theiler das YouTube-Format Jung & Naiv. Aktuelle Folgen sind HIER zu finden.

³ Wolfgang M. Schmitt veröffentlicht seit 2011 Die Filmanalyse auf YouTube. Aktuelle Folgen sind HIER zu finden.


Ein Ticket der Kategorie 4 (Rang Mitte) für die Palastrevolution im Admiralspalast kostete mich 25,00 €.
Das Re-Live der Veranstaltung ist seit 24.06.2023 HIER auf YouTube zu finden.
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